Anekdoten aus der Welt der Kunst

"Die Anekdote muss von der Art sein, dass man mit ihr eine Kunstgeschichte schreiben könnte."

Karl Schefler, Das lachende Atelier.
Künstleranekdoten des 19. Jahrhunderts. Wien 1943


VOM URSPRUNG DER KUNST
  • In einer Novelle Boccaccios geht es um die Frage, welches das älteste Florentiner Geschlecht sei. Die Entscheidung fällt zugunsten der Baronci aus: "Die haben so schlecht geformte Gesichter. Gott hat sie offenbar gemacht, als er das Malen noch übte!"
VIRTUOSITÄT
  • Tiepolo führte ein Gemälde in kürzerer Zeit aus, als ein anderer brauchte, um seine Farben zu reiben, und er malte, um eine Wette zu gewinnen, in zehn Stunden zwölf Apostel in halber Lebensgröße.
     
  • Hogarth war dafür bekannt, zu jeder Zeit ein Gesicht, welches ihn faszinierte, zu skizzieren. Einmal wurde er im Bedford-Café dabei beobachtet, wie er etwas mit einem Bleistift auf den Nagel eines Daumen zeichnete und ihn einem Begleiter zeigte. Es war das sehr außergewöhnliche Gesicht einer Person, die sich im selben Raum aufhielt. Die Ähnlichkeit war frappierend.
NEID, VERLEUMDUNG UND MISSGUNST
  • Der italienische Maler Paolo Uccello ließ eine Bretterverkleidung errichten, während er an einem Werk arbeitete, damit niemand sehen konnte, was er vorhabe. Donatello kam vorbei, neugierig, was das denn für ein Werk sei, das er so geheim halte. "Du wirst es sehen!" antwortete Paolo bedeutend. Donatello war also darauf gefasst, bald ein Wunder zu erblicken, und traf Uccello eines Morgens wieder, als dieser gerade sein Werk aufdeckte. Uccello war begierig, ein Urteil zu hören. "Mein lieber Paolo", sagte Donatello, "jetzt, wo es Zeit wäre, das Bild zu verdecken, enthüllst du es."
     
  • Dürer beschwerte sich bei seinem Venedigaufenthalt im Jahr 1506 über seine italienischen Kollegen: "Dagegen sind unter ihnen auch die untreuesten, verlogenen, diebischen Bösewichte, von denen ich nicht geglaubt hätte, dass sie auf dem Erdreich lebten. Ich habe viele gute Freunde unter den Italienern, die mich warnen, dass ich mit ihren Malern ja nicht esse und trinke. Auch sind mir ihrer viele feind und machen mein Werk nach in den Kirchen und wo immer sie es bekommen mögen; nachher schelten sie es und sagen, es sei nicht antikischer Art, darum sei es nicht gut."
     
  • Als Michelangelo noch ein Knabe war, zeichnete er mit anderen in der Florentiner Kirche Santa Maria del Carmine in der von Masaccio ausgemalten Kapelle, und er hatte die Angewohnheit, alle zu verhöhnen, die dort zeichneten. Pietro Torrigiano wurde es irgendwann zuviel, wie er Cellini berichtete; er ballte die Faust und schlug Michelangelo so heftig auf die Nase, dass er Knochen und Knorpel so mürbe fühlte, als wenn es eine Oblate gewesen wäre - und so hat er Michelangelo für sein Leben gezeichnet.
     
  • El Greco hatte Papst Pius V. vorgeschlagen, Michelangelos Fresko des 'Jüngsten Gerichts' abschlagen zu lassen, um es durch ein dem Ort angemesseneres und nicht weniger schönes Werk zu ersetzen. Diese Vermessenheit erregte die anderen Künstler in Rom so sehr, dass El Greco vor ihrer Wut aus der Stadt fliehen musste. Er ließ sich schließlich im spanischen Toledo nieder.
     
  • Als Lodovico Orazi, damals päpstlicher Legat in Bologna, Guido Reni besuchte, begann er, Pietro da Cortona, der ebenfalls in Bologna war, über alle Maßen zu rühmen. Guido verdrehte die Augen, wusste er doch auch, wie wenig ihn der berühmte Maler mochte. Orazi meinte schließlich sogar, dass Cortona in seinem Verhalten fast ein Heiliger sei, woraufhin ihm Reni nüchtern antwortete: "Ich glaube nicht an diese falschen Heiligen, solange sie essen. Wenn er denn so heilig wäre, dann würde er seine Kollegen nicht so sehr hassen, noch würde er sie in Misskredit oder um ihren Verdienst oder sogar um ihren Ruf bringen. Wenn dies einen Heiligen ausmacht, dann gebe ich mich geschlagen."
     
  • Jannis Kounellis sagte im Gespräch mit Joseph Beuys 1985: "Vor fünf Jahren kam dieser schreckliche Maler Andy Warhol nach Italien. Und man hat diesen Idioten an einem Tisch, wo auch Moravia und andere saßen, gefragt, welche italienischen Künstler er kenn. Er hat geantwortet, dass er von Italien nur die Spaghetti kenne ..." - "Das war doch Ironie." - "Nein, er war überhaupt nicht ironisch. Er sagte nur etwas sehr Beleidigendes. Er ist talentlos, ein Publizist und kein Künstler."

Literaturempfehlung:
  • Eva-Bettina Krems, Der Fleck auf der Venus. 500 Künstleranekdoten von Apelles bis Picasso. Verlag C.H.Beck, München 2003